„Schwierigkeiten im Schreiben gehen einher mit einem Niveauverlust auf allen Ebenen“ – Prof. Schönweiss zum aktuellen IQB-Bildungstrend

In einer Pressemitteilung bezieht Prof. Schönweiss Stellung zum aktuellen IQB-Bildungstrend, der einen deutlichen Rückgang der Kompetenzen von Neuntklässlern in den Bereichen Lesen und Schreiben verzeichnet. Immer mehr Jugendliche erreichen demnach die Mindeststandards im Fach Deutsch nicht.

Erfahrungen von Lehrkräften aller Klassenstufen zeigen: Mit der Münsteraner Rechtschreibanalyse des Lernservers lässt sich mit wenig Aufwand eine passgenaue und effektive Förderung realisieren, mit der auch grundlegende Schwierigkeiten nachhaltig behoben werden können.


[Pressemittelung]

Rechtschreib-Experte Prof. Schönweiss: „Schwierigkeiten im Schreiben gehen einher mit einem Niveauverlust auf allen Ebenen“

MÜNSTER, den 16.10.2023. Die Leistungen der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler im Fach Deutsch – und dabei auch in Orthografie – haben sich im Schnitt deutlich verschlechtert. Dies hat der jüngste IQB-Bildungstrend ergeben. Warum dies ein so großes Problem ist, erklärt der Bildungsforscher Prof. Dr. Friedrich Schönweiss. Er hat mit dem Lernserver ein Instrument entwickelt, mit dem sich gegensteuern ließe: die Münsteraner Rechtschreibanalyse mit passgenauer Förderung.

„Rechtschreibung, also die eigene oder aber neue Sprache samt Schrift sicher zu beherrschen, ist ja sehr viel mehr als nur irgendwelche orthographischen Regeln zu kennen und zu befolgen“, sagt der Bildungsforscher Prof. em. Dr. Friedrich Schönweiss, der an der Universität Münster den „Lernserver“, eine Plattform zur Diagnose und Förderung vor allem der Rechtschreibung bei Schülerinnen und Schülern, entwickelte. „Nur dann, wenn die über unser so genial ausgefeiltes Schriftsprachsystem transportierten Inhalte auch wirklich erfasst werden, wird die Tür dazu geöffnet, dass jedes Kind Tag für Tag mehr weiß und auch kann. Egal, auf welchem Gebiet. Kein Wunder also, dass Schwierigkeiten mit dem Schreiben alles andere als ein isoliertes Problem sind, sondern einhergehen mit einem fatalen Niveauverlust auf sämtlichen Ebenen, in allen Fächern, in schulischen wie außerschulischen Kontexten.“

Weiter betont Prof. Schönweiss: „Richtig brisant freilich wird es dann, wenn bereits grundlegende Einsichten in Aufbau und Struktur unserer Alphabetschrift fehlen, was leider immer häufiger der Fall ist. Wenn Lehrkräfte an Berufsschulen die Texte ihrer Schülerinnen und Schüler nicht mehr entschlüsseln können, ist das ein echtes Problem. Es ist natürlich nicht egal, ob die Auszubildenden – also die künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – vernünftig lesen, schreiben, miteinander kommunizieren können oder nicht. Und wenn Kinder noch in der 5. Klasse bei jedem Wort angestrengt überlegen müssen, wie man es denn schreibt, wenn sie also Texte nur mühsam entziffern können, anstatt sie rasch zu überfliegen, hält sie das in ihrer gesamten Schullaufbahn auf. Da helfen dann leider auch keine Fehlerkorrekturprogramme, die ja ab und an eine praktische Stütze sein mögen und bei kleineren Unsicherheiten helfen können, nicht aber bei Wortruinen. Der aktuelle IQB-Bildungstrend ist also mehr als alarmierend.“

Prof. Schönweiss leitete bis 2021 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster den Arbeitsbereich „Neue Technologien im Bildungs- und Sozialwesen/Medienpädagogik“. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Sprachwissenschaft, Informatik, Pädagogischer Praxis und Lerntherapie erforschte Schönweiss, welche Schwierigkeiten beim Umgang mit Sprache und Schrift auftauchen können, wie Rechtschreibfehler entstehen, was es braucht, um aus ihnen lernen zu können – und welche Chancen dabei moderne Technologien bieten.

 

Förderdiagnostik und Förderpläne

Aus dieser Arbeit ist unter dem Namen „Lernserver“ ein System entstanden, das computergestützte Förderdiagnostik und die Bereitstellung individualisierter Förderpläne und Übungsaufgaben vereint. Inzwischen ist der Lernserver über 700.000-mal zum Einsatz gekommen, mit Tools wie HP5-basierten interaktiven Lernmaterialien, aber auch Qualifizierungsinitiativen ergänzt worden, und soll Lehrkräften bei der Diagnose und Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler Zeit und Kraft sparen.

Im Kern besteht die Lernserver-Förderdiagnose aus zwei Schritten: Auf eine einfach durchzuführende Testung folgen eine ausführliche Fehleranalyse und die Ermittlung des Förderbedarfs. Daraus erstellt das System, begleitet und überwacht von Sprachwissenschaftlern und Lerntherapeuten, individuelle Förderpläne mit konkreten Materialien; diese können dann von Lehr- und Förderkräften an der Schule, aber auch in der Nachhilfe oder zuhause gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen umgesetzt werden.

„Mit der Münsteraner Rechtschreibanalyse des Lernservers habe ich jetzt ein vernünftiges Diagnose-Tool gefunden, mit dem die Auswertung für uns Lehrkräfte sehr einfach funktioniert“, sagt die Grundschullehrerin Nadja Laschet-Altmann, die an der Sankt-Michael-Grundschule in Wuppertal unter anderem Deutsch unterrichtet. Die Kinder bekommen dazu einen Lückentest, den sie per Hand ausfüllen. Die Lehrerin gibt dann lediglich die Fehlschreibungen über ihr Endgerät in das Lernserver-System ein, das die Tests dann automatisch auswertet. Auf einen Blick lässt sich anhand der Ampelfarben erkennen, wie hoch der Förderbedarf ist. Bei Kindern mit mittlerem oder hohem Förderbedarf wird der Test einer Feinanalyse unterzogen, auf deren Basis passgenaue Fördermaterialien ausgegeben werden. Derzeit arbeitet etwa die Hälfte der Klasse zweimal pro Woche mit den individuellen Übungen.

Dass ihre neue Methode Erfolg hat, zeigte bereits die erste Nachtestung: „Nach einem halben Jahr hatte die Hälfte der Kinder, die mit dem Lernserver arbeitet, ein extrem viel besseres Ergebnis“, freut sich die Lehrerin. „Man kann damit unheimlich viel auffangen.“

 

Förderung auch für neunte Klassen

Auch in höheren Schulklassen lässt sich mit dem Lernserver eine passgenaue Rechtschreibförderung realisieren. „In meiner neunten Klasse beobachte ich, dass die Rechtschreibung schon jetzt besser geworden ist. Erstaunlicherweise wirklich deutlich besser.“, sagt Nicola Schoberth, Deutschlehrerin am Bildungszentrum Bodnegg bei Ravensburg. „Die Übungen gehen wirklich von der Basis aus, sind gut aufbereitet und überfordern nicht. Ich habe gemerkt, das ist nicht irgendwas Draufgesetztes, sondern das passt tatsächlich zu dem, was die Schüler brauchen. Das hatte ich vorher nie.“ Entscheidender Mehrwert des Lernservers sei die Aufbereitung von Themen, die eigentlich im Grundschulbereich zu verorten sind, mit denen aber, wie im aktuellen IQB-Bildungstrend sichtbar wird, immer mehr Schülerinnen und Schüler auch der höheren Klassen Schwierigkeiten haben. „Das ist eine Entwicklung, die mir in meiner Tätigkeit als Lehrbeauftragte der Sekundarstufe 1 auch an anderen Schulen ab Klasse fünf begegnet. Bisher gingen wir in der Lehrerausbildung hier immer von gewissen Grundkenntnissen aus. Ich merke aber immer mehr, dass dem nicht mehr so ist. Die Schüler:innen bringen zum Beispiel kein gefestigtes Wissen über die Silbenstruktur mehr mit, was aber elementar wichtige Voraussetzung für das Erlernen der Rechtschreibfähigkeit ist. Wenn diese Basics fehlen, ist es natürlich kein Wunder, wenn ich die Schüler mit meinen Materialien zum Vertiefen der Regeln nicht abholen kann. Es hilft also nichts, so weiterzumachen wie bisher. Wir müssen bei der Förderung in den Grundschulbereich zurück und dort ansetzen“, so Schoberth, die parallel am Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte (GWHRS) in Weingarten tätig ist. „Die differenzierte Analyse und das genau abgestimmte Förderprogramm, das eben auch den grundlegenden Bereich einschließt, war für mich das Ausschlaggebende, den Lernserver zu nutzen. Das ist der Mehrwert, den ich bisher noch bei keinem anderen Tool gefunden habe.“

Hintergrund: Das Kompetenzniveau der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler im Fach Deutsch ist zwischen 2015 und 2022 deutlich gesunken. Das zeigen die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2022, mit dem das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) zum dritten Mal für die Kultusministerkonferenz (KMK) untersucht hat, inwieweit Jugendliche in Deutschland die bundesweit geltenden Bildungsstandards der KMK in den sprachlichen Fächern am Ende der Sekundarstufe I erreicht haben.

  • Betrachtet man die Gesamtgruppe aller Neuntklässlerinnen und Neuntklässler, so ergibt sich für das Fach Deutsch mit Blick auf die Mindeststandards für den Ersten Schulabschluss (ESA) folgendes Bild: Im Fach Deutsch verfehlen etwa 15 Prozent der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler die Mindeststandards für den ESA im Bereich Lesen, fast 18 Prozent im Bereich Zuhören und rund 8 Prozent im Bereich Orthografie. Im Lesen bedeutet das gegenüber dem Vergleichsjahr 2015 einen signifikanten Anstieg von 6 Prozentpunkten, im Zuhören von 10 Prozentpunkten und in Orthografie von 4 Prozentpunkten.
     
  • Die Mindeststandards für den MSA werden in der Gesamtgruppe aller Neuntklässlerinnen und Neuntklässler im Fach Deutsch im Lesen von 33 Prozent der Jugendlichen noch nicht erreicht. Im Zuhören sind es 34 Prozent, in Orthografie sind es 22 Prozent. Im Lesen ergibt sich damit gegenüber dem Vergleichsjahr 2015 ein signifikanter Anstieg von 9 Prozentpunkten, im Zuhören von 16 Prozentpunkten und in Orthografie wiederum von 9 Prozentpunkten. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Schülerinnen und Schüler in der neunten Klasse mehr als ein Jahr vor dem MSA-Abschluss getestet wurden und insofern diese Leistungen zum Testzeitpunkt auch noch nicht erbringen konnten.
     
  • Setzt man die Kompetenzwerte des Vergleichsjahres 2015 jeweils auf einen Mittelwert von 500 Punkten und eine Streuung (Standardabweichung) von 100 Punkten, verlieren die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler im Jahr 2022 gegenüber dem Vergleichsjahr 2015 bundesweit betrachtet im Fach Deutsch im Lesen im Schnitt 25 Kompetenzpunkte, im Zuhören 44 Punkte und in Orthografie 31 Punkte. Dies sind statistisch signifikante und im Umfang erhebliche Kompetenzrückgänge im Fach Deutsch.

 

Quelle:

https://www.kmk.org/presse/pressearchiv/mitteilung/iqb-bildungstrend-2022-kompetenzrueckgaenge-in-deutsch-aber-weitere-fortschritte-in-englisch.html

 

Erschienen u.a. auf: News4Teachers

 

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